Neue Lebensperspektiven für ehemals wohnungslose Menschen
- Regina Doblies, Ursula Büchsenschütz
- 19. Okt. 2017
- 4 Min. Lesezeit
Durch eine Kooperation zwischen einem sozialen Träger, dem Landschaftsverband Westfalen Lippe und zwei Wohnungsunternehmen ist es im Kreis Minden-Lübbecke gelungen, schwer vermittelbare wohnungslose Menschen (Menschen in „Besonderen sozialen Schwierigkeiten“) mit normalem Wohnraum zu versorgen: Im Rahmen des dreijährigen Modellprojektes „wohnenPlus“ konnten 25 Haushalte eine Wohnung beziehen, die zuvor keinesfalls für einen Mietvertrag in Betracht kamen. Außer den meist vorhandenen Schulden kamen so viele Probleme zusammen, so dass ohne fremde Hilfe diese nicht zu lösen waren.
Ziel ist es, mit Hilfe einer intensiven sozialarbeiterischen Unterstützung den Wohnungserhalt dauerhaft zu sichern. „Durch ‚wohnenPlus‘ haben die Menschen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine neue Lebensperspektive bekommen“, betont Hans-Jörg Schmidt, Geschäftsführer der Aufbaugemeinschaft Espelkamp GmbH, die ebenso wie die Wohnhaus Minden GmbH an dem Projekt beteiligt war.

Der Kreis Minden-Lübbecke im äußeren Nordosten Nordrhein-Westfalen ist überwiegend ländlich geprägt. Der wenig ausgebaute öffentliche Nahverkehr bedingt, dass die auch persönlich meist wenig mobilen Personen sich kaum aus den lokalen Strukturen heraus orientieren können oder wollen. Die ländliche Struktur wirkt sich auch auf die Wohnraumversorgung aus: Knapp zwei Drittel aller Wohngebäude sind Einfamilienhäuser, und nur etwa jedes neunte Gebäude verfügt über drei oder mehr Wohneinheiten. Dies und die zunehmend angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt führen dazu, dass Menschen in besonders schweren sozialen Lebenslagen nur sehr geringe Chancen haben, eine Wohnung zu finden. Hinzu kommt, dass Vermieter bei diesem Personenkreis oft schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben und daraus bisweilen auch Vorurteile entstanden sind. Deshalb wird zum einen das wirtschaftliche Risiko sehr hoch einschätzen und zudem befürchtet, mit Verhaltensauffälligkeiten der Mieter konfrontiert zu werden, da eine ambulante Betreuung nicht automatisch gegeben ist. Vor dem Hintergrund dieser Problematik wurde das Gemeinschaftsvorhaben „wohnenPlus“ ins Leben gerufen, das vom NRW-Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales über das Aktionsprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ gefördert wurde. In diesem Projekt wurden von den Akteuren wegweisend gemeinsam Strukturen der Zusammenarbeit entwickelt, um die Versorgung der Zielgruppe zu verbessern, aber auch das Risiko von Wohnungswirtschaft und sozialem Bereich der Beteiligten besser einschätzen und minimieren zu können. In der Praxis wurden diese erprobt und de facto zusammen ausgeglichen, was die öffentliche Hand bisher nicht leistet.
„wohnenPlus“ zielt vorrangig auf Haushalte ab, die ihre vorherige Wohnung aufgrund von Mietschulden verloren haben und aktuelle Mietschulden aufweisen, auf Haushalte, die aufgrund von anderen Schulden bei der Schufa gemeldet sind sowie auf heranwachsende Menschen in öffentlich-rechtlicher Unterbringung bzw. in der Obdachlosigkeit, die keine eigene Mietwohnerfahrung, aber eine positive Prognose für eine eigenständige Wohnfähigkeit haben. Das Programm berücksichtigt auch Personen „in Besonderen Sozialen Schwierigkeiten“ mit einer zusätzlichen psychischen Erkrankung oder Suchterkrankung, sofern auch dort eine positive Sozialprognose vorliegt.
Die Auswahl der Haushalte erfolgte nach einem Erstkontakt in der Fachberatungsstelle in einem mehrstufigen Verfahren, das außer den für das Projekt ausschlaggebenden Faktoren auch die Beantragung der persönlichen Wohnbegleitung und deren Bewilligung durch den Landschaftsverband beinhaltete:
Insgesamt kamen mehr Haushalte für das Programm in Frage als die letztendlich teilnehmenden. Aber durch die regionale Begrenzung des Projektes, die nicht immer passend vorhandene Wohnungsgröße oder nicht zeitnah zur Verfügung stehende Wohnung konnten nicht alle überprüft und für geeignet befundenen Haushalte versorgt werden.
Zur Wohnraumversorgung dieser Personengruppen haben die Aufbaugemeinschaft Espelkamp 13 Wohnungen und die Wohnhaus Minden acht Wohnungen zur Verfügung gestellt, die von dem sozialen Träger „Hexenhaus – Hilfen für Menschen in Krisensituationen e.V.“ angemietet und per Nutzungsvertrag an die wohnungslosen Haushalte untervermietet wurden. Eine der Bedingungen für die teilnehmenden Haushalte war es, einen Betreuungsvertrag abzuschließen, der an das Wohnungsnutzungsverhältnis gekoppelt ist.
Ziel war es, dass der Mietvertrag nach einem Jahr auf die Haushalte übertragen wird – vorausgesetzt, dass dies von allen Beteiligten gewollt wird.
In der dreijährigen Projektphase vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Mai 2017 wurden 25 Haushalte mit insgesamt 40 Personen mit einer Wohnung versorgt. Der erste Bezug erfolgte im September 2014; danach kam etwa alle fünf Wochen ein neuer Haushalt hinzu. Die vertraglich festgelegte begleitende Betreuung basierte auf der „Beratungs- und Unterstützungsvereinbarung für das Ambulant Betreute Wohnen nach §67 SGB XII“. Auf der Grundlage eines individuellen Hilfeplans sollte den Projektteilnehmern eine weitgehend selbstständige Lebensführung eröffnet werden und sie in die Lage zurückversetzt werden, soziale Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu überwinden. Großer Wert wurde hier der Betrachtung der gesamten Lebenslagen in Bezug auf die aktuelle Situation gelegt. („Wohnungsnotlagen sind weder über Nacht gekommen, noch verschwinden die Probleme mit einer neuen Chance automatisch.“) Ein besonderes Augenmerk lag dabei bei der Betrachtung der aktuellen Lebenssituation in der Überprüfung und Aufarbeitung von Altschulden und der Anbindung an eine Schuldnerberatung. Unterstützung erfuhren die Klienten u. a. auch bei Amtsangelegenheiten und der Beantragung von Sach- und Geldleistungen sowie bei der Vermittlung an weitere Regeldienste (z.B. familienunterstützende Hilfen, Drogenberatungsstellen), der Einleitung von Entgiftungen und der Aufnahme von Therapien.
Am Ende der Projektphase hatten 14 Haushalte das Programm komplett durchlaufen. Zwölf von ihnen bekamen nach dem einjährigen Probewohnen einen eigenen Mietvertrag für die genutzte Wohnung bzw. für eine Wohnung in anderen Kommunen des Kreises Minden-Lübbecke. Durch die intensive sozialarbeiterische Betreuung konnten die Schulden zwar nicht komplett abgetragen werden, doch es wurden die entsprechenden Unterlagen sortiert, um eine Übersicht über die Altlasten zu erhalten und möglichst mit der Schuldenregulierung begonnen. Die Klienten nahmen keine weiteren Schulden auf und wurden an externe Schuldnerberatungen vermittelt.
Das Projekt „wohnenPlus“ mit der Kombination einer eigenen Wohnung und wohnbegleitenden Hilfen wurden bei einer abschließenden Befragung von den Teilnehmern als gut bzw. sehr gut bewertet. Die vormals wohnungslosen Personen gaben an, sich nun besser auf weitere Lebensbereiche und Ziele fokussieren zu können, bestimmte Kompetenzen wie etwa Selbstständigkeit erworben zu haben und in der Lage seien, Probleme wie Sucht und berufliche Perspektivlosigkeit zu überwinden. Der Landschaftsverband übernimmt im Projekt entwickelte und erprobte Verbesserung in Struktur und Ablauf der Hilfen in Zukunft für den ganzen Zuständigkeits-bereich und der Betreuungsträger profitiert in der Praxis von der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit der beteiligten Wohnungswirtschaft in den einzelnen Fällen.
Und auch die beteiligten Wohnungsunternehmen ziehen eine erfreuliche Bilanz: Neben den überwiegend unauffälligen bis positiven Einzelverläufen wurde vor allem die Risikoverteilung unter den Beteiligten als positiv bewertet. „Da der soziale Träger im ersten Jahr unser Hauptmieter ist, können wir die Klienten gut kennenlernen, um dann über die Vergabe eines Mietvertrages zu entscheiden“, sagt Hans-Jörg Schmidt. Um das erfolgreiche Projekt fortzusetzen und auszuweiten, sind bereits Vereinbarungen mit den bisherigen Akteuren getroffen worden und Gespräche mit zwei weiteren Wohnungsunternehmen aufgenommen worden, die Interesse an einer Kooperation bekundet haben.