Ein Volk von Eigentümern
- Felix Schnellbacher, eid
- 6. Sept. 2018
- 3 Min. Lesezeit

Riga ist anders. Lettland ist anders. Auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt gibt es glitzernde Neubauten gleich neben Wohngebäuden mit Sperrholz in den Fenstern. Lettlands Geschichte ist turbulent. Die frühere Sowjetrepublik ist seit 2004 in der EU und seit 2014 in der Eurozone. Der eid – Evangelischer Immobilienverband Deutschland veranstaltet alle paar Jahre eine Exkursion ins europäische Ausland. Mitte Juli ging es erstmals in den Osten. Für das Fachprogramm dabei diesmal die Initiative Wohnungswirtschaft Osteuropa (IWO), die selbst bereits Projekte in Riga und anderen Städten im Baltikum umgesetzt hat.
In Rigas Innenstadt gibt es viele Jahrhunderte alte Gebäude, die über die Sowjetzeit gerettet und in den letzten Jahren hübsch saniert wurden. In ganz Riga gibt es aber auch Objekte der Kategorien „den Wohnwert der Nachbarn negativ beeinflussend“, „dringend sanierungsbedürftig“ und „einsturzgefährdet“. Olegs Burovs, Vorsitzender des Komitees für städtisches Eigentum der Stadt, berichtet, 88 Prozent von ihnen seien in privater Hand. Mitte der 1990er Jahre bekamen die Letten Gutscheine für ihren Anteil am „Volksvermögen“. Die meisten bezahlten damit die eigene Wohnung. Allerdings verstünden sie oft nicht, dass mit Eigentum auch Verantwortung einhergehe. Die Stadt habe die Erfahrung gemacht, dass nach einer Wohnumfeldverbesserung Kriminalität und Vandalismus zurückgingen. Ein Exkursions-Teilnehmer hat gleiches in Deutschland erlebt. Riga erwägt den Neubau von Mietwohnungen. Staatsdiener mit geringen Einkommen müssen mit Wohnraum versorgt werden. Seit 1991 sind etwa 400.000 Letten ausgewandert. Preiswertere Mietwohnungen könnten ein Leben in der Hauptstadt für mehr Menschen erschwinglich machen.

Beim Runden Tisch zur lettischen Immobilienwirtschaft im Schwarzhäupterhaus, einem der Wahrzeichen Rigas, berichten Dr. Sanda Geipele und Iveta Stamure von der Technischen Universität Riga von immobilienwirtschaftlichen Studiengängen. Immobilienverwaltern sei eine entsprechende Ausbildung gesetzlich vorgeschrieben. Das gelte leider nicht für die Fortbildung.
Girts Beikmanis vom lettischen Immobilienverwalterverband informiert, dass nur etwa zehn Prozent der Letten in Neubauten (Baujahr nach 1991) leben. 70 Prozent wohnen in Gebäuden, die zur Sowjetzeit gebaut wurden – ein EU-Rekord. Die Erhaltung dieser meist heruntergekommenen Objekte sei schwierig. Mit einem Investitionsprogramm der EU und Lettlands könnten in den nächsten Jahren etwa drei Prozent des Gebäudebestandes energetisch saniert werden. Viele Wohnungseigentümer seien sich nicht bewusst, dass sie auch jenseits der eigenen Wohnungstür Verantwortung haben. Auch ihm erscheint die Schaffung eines Mietwohnungsmarktes dringlich, dafür müssten die rechtlichen Rahmenbedingungen noch verbessert werden.
Juris Vidzis‘ städtische Wohnungsgesellschaft in Jelgava verwaltet 14.500 Einheiten. Er berichtet, die vorgeschriebenen Quoren in Wohnungseigentümer-Versammlungen seien oft schwer zu erreichen. Etwa zehn Prozent der Eigentümer lebten im Ausland. Sein Unternehmen habe eine digitale Plattform für Zählerstände, aber auch für die Kommunikation der Eigentümer untereinander.
In Riga steht ein durchschnittliches Monatseinkommen von 950 Euro einer Miete von bis zu 600 Euro gegenüber. Wohnungseigentümer in Sowjetzeit-Plattenbauten zahlen etwa 150 Euro für Nebenkosten und Verwaltung. Bei einer Rundtour gibt es neben Holzhäusern sehr viele Plattenbauten zu sehen, an denen Jahrzehnte lang nichts modernisiert wurde. Weil die Letten Eigentümer ihrer Wohnungen sind, hat es nie großflächigen Abriss gegeben.
Einen anderen Blick auf Riga bietet Stefan Meissner von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde. Er berichtet über von der EU geförderte Sanierungsprojekte. „Immer wenn es ein neues Förderprogramm gibt, machen die Preise einen Sprung“, hat er beobachtet. Der Gemeinde könnte die Petrikirche in der Altstadt zufallen. Sie wird als Museum und Aussichtsplattform genutzt, doch ihre Eigentumsverhältnisse sind noch immer ungeklärt. Die Baulast trage „theoretisch“ die Stadt Riga. Ein Gesetz zur Rückübereignung wird gerade beraten. Als Eigentümerin im Grundbuch steht seit 1938 die Deutsche Lutherische Gemeinde.
Fazit nach zwei intensiven Tagen: Riga ist schön, aber anders. Lettland ist spannend, aber anders.
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift "DW | Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 9/2018, auf Seite 12