top of page

Ist nach der Formvorschrift vor der Formvorschrift?

  • Felix Schnellbacher, eid
  • 18. Apr. 2019
  • 5 Min. Lesezeit

Kaufverträge über Immobilien müssen in Deutschland notariell beurkundet werden. Wie ist es aber, wenn Käufer und Verkäufer den notariell beurkundeten Vertrag, in dem sie unter anderem die Umschreibung im Grundbuch schon beantragt haben (Juristen sagen: die Auflassung bindend erklärt), ändern? Müssen sie dann nochmal zum Notar? Diese Frage wurde dem BGH nach 34 Jahren wieder einmal vorgelegt. Der Beklagte dieses Falles, er sei hier Sanier genannt, kaufte mit notariellem Vertrag von der Klägerin, einer Bauträgerin, drei sanierungsbedürftige Eigentumswohnungen zum Preis von zusammen rund 310 000 EUR. Beide erklärten die Auflassung, Sanier beantragte die Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch. Der Notar solle eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der Urkunde allerdings erst erteilen, wenn die Zahlung des Kaufpreises nachgewiesen worden sei.

Dies ist ein Auszug aus Heft 12/2018 der ZWE, Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht, in der Rubrik "BGH für Verwalter". Ein kostenloses Probeabonnement der Zeitschrift über drei Monate oder ein reguläres Abonnement erhalten Sie hier. Teilnehmende an unseren Fachgesprächen zum WEG in Fischen erhalten im Folgejahr ein ZWE-Abonnement.

So weit, so normal und mehrere tausend Mal pro Jahr in Deutschland vorkommend. Hier geschah nach dem notariellen Vertragsabschluss aber Folgendes: Sanier stellte fest, dass für erforderlich gehaltene Dekontaminationsarbeiten nicht nötig waren und verlangte schriftlich einen Kaufpreisnachlass von rund 27 000 EUR. Der Geschäftsführer der Bauträgerin unterzeichnete dieses Schreiben mit dem Zusatz „zur Kenntnis genommen und anerkannt“. Sanier zahlte rund 283 000 EUR an die Bauträgerin. Die meinte jetzt, dass der Kaufpreisnachlass notariell hätte vereinbart werden müssen, weshalb sie den Kaufpreisnachlass für formnichtig hielt. Vor dem Landgericht klagte sie auf Zahlung der noch ausstehenden 27 000 EUR. Sanier bat das Gericht, im Wege der Widerklage festzustellen, dass der Kaufpreis vollständig bezahlt sei. Bis wann muss der Notar beurkunden? Das Landgericht entschied zugunsten von Sanier. Die Bauträgerin ging vors Oberlandesgericht. Das monierte, die nachträgliche Kaufpreisreduzierung sei nicht notariell beurkundet worden. Die nachträgliche Abänderung von Grundstückskaufverträgen sei auch dann formbedürftig, wenn sie – wie hier – zwar nach der Auflassung, aber noch vor der Eigentumsumschreibung erfolge. Für die Beurkundungspflicht solcher Änderungen sprächen Wortlaut, Systematik und Zweck der in § 311b I BGB normierten notariellen Form. Die Beweisfunktion und die Warnfunktion der Beurkundung blieben auch in der Zeit zwischen Auflassung und Eigentumsumschreibung ebenso relevant wie das Schutzbedürfnis von Veräußerer und Erwerber vor übereilten Entscheidungen. Das Argument, die Verpflichtung zur Eigentumsübertragung sei mit der Auflassung in vollem Umfang erfüllt und bestehe nach erklärter Auflassung nicht mehr, treffe überdies nicht zu, wenn – wie hier – der Notar die notarielle Urkunde mit der Auflassung erst nach Kaufpreiszahlung erteile. Entsprechend verurteilte das OLG Sanier zu einer Kaufpreisnachzahlung. Weil es sich damit gegen die ständige Rechtsprechung des BGH stellte, ließ das OLG aber die Revision zu. Sanier zog vor den BGH. Der BGH sagt in ständiger Rechtsprechung … Der BGH billigte dem OLG zu, dass dem Formzwang des § 311b I 1 BGB alle Vereinbarungen unterlägen, die nach dem Willen der Parteien zu dem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft gehörten. Deshalb finde dieser Formzwang grundsätzlich auch auf Vereinbarungen Anwendung, durch welche ein schon beurkundeter Grundstückskaufvertrag nachträglich geändert werde. Solche Änderungen seien dann formfrei, wenn sie lediglich der Beseitigung einer bei der Abwicklung des Geschäfts unvorhergesehen aufgetretenen Schwierigkeit dienten, ohne die beiderseitigen Verpflichtungen wesentlich zu verändern. Deshalb sei eine nachträgliche Herabsetzung des beurkundeten Kaufpreises, wie sie hier vereinbart worden sei, an sich auch formbedürftig. All das entspreche der jahrelangen Rechtsprechung des BGH. Allerdings sei ebenso ständige Rechtsprechung des BGH, dass Grundstückskaufverträge nach der Auflassungserklärung formlos abgeändert werden können, weil die Verpflichtung des Veräußerers in Bezug auf die Eigentumsübertragung mit der bindenden Auflassung erfüllt ist und deshalb nicht mehr besteht. So sei es hier. … dass es in Fällen wie diesem bei der Formfreiheit bleibt Der BGH setzt sich auch mit den Argumenten der Kritiker seiner Rechtsprechung auseinander. So habe sich der Charakter der Auflassung gewandelt, seit das Reichsgericht ähnlich geurteilt hatte wie der BGH. Früher sei die Auflassungserklärung nicht zeitgleich mit dem zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vertrag (also meist einem Kauf), sondern als „Schlusspunkt“ eines Grundstücksgeschäfts erst dann vor dem Grundbuchamt erklärt worden, wenn alle wechselseitigen Verpflichtungen aus dem Geschäft erfüllt gewesen seien. Heute werde die Auflassung aus Zeit- und Kostenersparnis-Gründen gleichzeitig mit dem Kaufvertrag erklärt, für den Schutz des Verkäufers gibt es andere Mechanismen, auf die noch eingegangen wird. Der BGH gibt den Kritikern insoweit recht, als die Beurkundungspflicht viele Zwecke habe: Sie soll den Beweis über die Art und den Inhalt der Vereinbarungen sichern, den Veräußerer und den Erwerber vor übereilten Verträgen bewahren, sie auf die Wichtigkeit des Geschäfts hinweisen und ihnen durch die Mitwirkung des sachkundigen und unparteiischen Notars die Möglichkeit rechtskundiger Belehrung und Beratung eröffnen. Die strengen Regeln des Beurkundungsverfahrens, insbesondere die Prüfungs- und Belehrungspflichten des Notars, sollen sicherstellen, dass der Inhalt der Urkunde dem Willen der mit der rechtlichen Tragweite vertraut gemachten Beteiligten entspricht. Allerdings bräuchten die Parteien diesen Schutz nicht mehr, wenn der Zweck der Formvorschrift erreicht sei. Hiervon sei auszugehen, wenn die schuldrechtlichen Erklärungen von Veräußerer und Erwerber beurkundet worden seien und diese zudem die für die angestrebte Rechtsänderung erforderlichen (dinglichen) Erklärungen, hier also die Auflassung, in bindender Form abgegeben hätten. Im Rahmen seiner Pflichten müsse der Notar den Verkäufer über die Bedeutung der Auflassung belehren. Damit hätten die Vertragsparteien ihre jeweiligen Leistungshandlungen unwiderruflich erbracht. Deshalb sei der entscheidende Zeitpunkt, ab dem ein Grund-stücks(kauf)vertrag formlos abänderbar sei derjenige, zudem die Auflassungserklärung bindend geworden sei. Dadurch könnten die Übereignungs- und Erwerbspflicht als erfüllt angesehen werden, so der BGH. Der BGH billigt seinen Kritikern auch zu, dass die Eintragung des Käufers als Eigentümer im Grundbuch erforderlich und geschuldet sei. Erst dann habe der Verkäufer seine Eigentumsverschaffungspflicht erfüllt. Darauf komme es in Fällen wie diesem jedoch gar nicht an, sondern lediglich darauf, dass die geschuldeten Leistungshandlungen unwiderruflich erbracht sind. Das sei hier der Fall, mit der bindend gewordenen Auflassungserklärung hätten die Parteien alles getan, was sie tun können, um die gewünschte Eintragung im Grundbuch zu erreichen. In der Praxis wird der Vollzug der Auflassung so lange aufgeschoben, bis die Parteien dem Notar dafür „grünes Licht“ geben, also beispielsweise der Kaufpreis eingegangen ist. Hierfür gibt es unterschiedliche rechtliche Konstruktionen. Neben der hier gewählten so genannten Ausfertigungssperre gibt es die Vorlagensperre und die Bewilligungslösung. Das alles ändert für den BGH nichts: gerade weil die Auflassung nach § 925 II BGB nicht unter eine Bedingung gestellt werden kann, sieht der BGH darin vollzugstechnische Abreden. Die Auflassung aber werde dennoch vorbehaltlos und verbindlich erklärt. Nach alledem sieht der BGH die Schutzzwecke der Formvorschrift als erreicht an und will weitere Vereinbarungen, soweit sie nicht Erwerbs- oder Veräußerungspflichten verändern oder neu begründen, nicht mehr an diese strenge Form binden. Praxistaugliche, rechtssichere Lösung Eine von der bisherigen Judikatur abweichende Lösung wäre der Klarheit und Sicherheit im Rechtsverkehr abträglich, meint der BGH. Die Formnichtigkeit eines Grundstücksgeschäfts führt nach § 139 BGB im Zweifel zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages inklusiver aller Nebenabreden (§ 125 S. 1 BGB). Nun wird ein formnichtiger Vertrag nach § 311b I 2 BGB zwar seinem ganzen Inhalt nach gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgen. Allerdings, so der BGH, würde das hier nicht helfen, weil die vor einer formlosen Änderung des Vertrages erklärte Auflassung nicht in Erfüllung der formnichtigen Vereinbarung erfolgt sein kann. Anders ausgedrückt: die Eintragung heilt nur das, was vor Abgabe der bindend gewordenen Auflassungserklärung (ggf. formnichtig) vereinbart wurde. Der BGH sah also keinen Grund, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Es gebe in der praktischen Anwendung keine Probleme, vielmehr gebe es ein Interesse an der Kontinuität der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit. Folgerichtig hob er das Urteil des OLG auf, weil der Kaufvertrag zwischen dem Bauträger und Sanier wirksam abgeändert worden war. Der Bauträger hatte nur einen Anspruch auf den ermäßigten Kaufpreis, und den hatte er erhalten. Nach der Formvorschrift ist also nicht immer vor der Formvorschrift. Die Parteien und die für sie handelnden Personen sollten es sich also gut überlegen, ob sie tatsächlich in eine Änderung des beurkundeten Vertrages einwilligen.


 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Blogseite für PDFs

GdW zum Landesmietendeckel Einladung svt Round Table Wohnprojekt trotz schwieriger Bedingungen

 
 
 
bottom of page