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Alles Gewerbe – oder nichts?

  • Felix Schnellbacher, eid
  • 26. Juli 2018
  • 5 Min. Lesezeit

Gleich die erste Vorschrift des Wohnungseigentumsgesetzes, § 1 I, trifft eine Unterscheidung: An Wohnungen kann Wohnungseigentum, an nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen Teileigentum begründet werden. Aber was ist, wenn der Eigentümer einer Teileigentumseinheit in einem ausschließlich gewerblich genutzten Gebäude sein Eigentum als Wohnung nutzen will, weil er sie als Gewerbeeinheit nicht mehr vermietet bekommt? Darüber hatte der BGH zu entscheiden.

Besprechung des BGH-Urteils vom 23.3.2018, V ZR 307/16

Die sieben Einheiten der Immobilie dieses Falles sollten ausschließlich der „beruflichen und gewerblichen Nutzung“ dienen – so die Teilungserklärung von 1989/90. Sie durften, so die Teilungserklärung weiter, „ausdrücklich beruflich oder gewerblich, insbesondere auch als Apotheke oder Arztpraxis genutzt werden“. So war es auch viele Jahre lang. Im Haus waren sechs Arztpraxen und eine Apotheke anzutreffen. Doch dann wurde nebenan ein großes Ärztehaus errichtet. Bald danach waren nur noch drei Arztpraxen da, die frühere Apotheke war zum Teil an ein Büro für Tierschutzhilfe vermietet und stand ansonsten leer, in einer früheren Arztpraxis wurde Schülern Nachhilfe erteilt.

Dies ist ein Auszug aus Heft 7-8/2018 der ZWE, Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht, in der Rubrik "BGH für Verwalter". Ein kostenloses Probeabonnement der Zeitschrift über drei Monate oder ein reguläres Abonnement erhalten Sie hier. Teilnehmende an unseren Fachgesprächen zum WEG in Fischen erhalten im Folgejahr ein ZWE-Abonnement.

Leerstand und keine Interessenten – was tun?

Der Beklagte dieses Verfahrens, er sei hier Pfiffig genannt, war Inhaber einer Teileigentums-Einheit. Die darin früher anzutreffende Arztpraxis war ausgezogen, jetzt stand die Einheit leer. Pfiffig beauftragte einen Immobilienmakler von Mai 2012 bis Juni 2013 mit der Suche nach einem Mieter für eine nachfolgende gewerbliche Nutzung – ohne Erfolg. Mehrere Makler sagten später vor dem Amtsgericht aus, dass eine Vermietung dieser Einheit als Praxis oder für ähnliche Zwecke trotz längerer intensiver Bemühungen unabhängig von der geforderten Miete nicht möglich gewesen sei. Es habe schlicht keine Interessenten dafür gegeben.

Pfiffig nahm die Dinge dann selbst in die Hand. Er teilte seine Teileigentumseinheit in zwei Wohnungen auf und vermietete sie unbefristet als Wohnraum. Damit waren seine Miteigentümer, die späteren Kläger, nicht einverstanden. Sie führten § 15 III WEG ins Feld. Danach kann jeder Miteigentümer vom anderen verlangen, dass er sein Miteigentum „rechtmäßig“ nutzt, sich also an das Gesetz sowie die Vereinbarungen und Beschlüsse der Gemeinschaft hält. Eine Wohnnutzung lasse die Teilungserklärung schlicht nicht zu, so die Kläger. Man sah sich vor dem Amtsgericht. Das gab Pfiffig Recht. Die Kläger legten Berufung ein und hatten damit vor dem Landgericht Erfolg. Pfiffig ging vor den BGH.

Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter

Der BGH schaute sich die Teilungserklärung an. Darin stand zwar, die Einheiten „dürfen“ beruflich oder gewerblich genutzt werden. Doch der BGH sah darin eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter, so wie sie in § 15 I WEG geregelt ist: die Eigentümer hatten sich darauf geeinigt, ihre Immobilie nur gewerblich zu nutzen. Dies fand der BGH auch dadurch bestätigt, dass die Präambel zur Nutzungserklärung die Formulierung enthielt, das gesamte Gebäude werde „zur beruflichen und gewerblichen Nutzung“ dienen.

Denkbar wäre eine andere Nutzung als Gewerberaum auch ohne dahingehende Vereinbarung, wenn sie bei typisierender Betrachtung nicht mehr störe als es Gewerbe tue, so der BGH. Hier bestand die Besonderheit aber darin, dass das Gebäude ausschließlich gewerblich genutzt wurde und werden sollte. Jedenfalls in einer solchen Immobilie störe die Wohnnutzung, weil sie mit den „typischen Wohnimmissionen“ wie Küchengerüchen, Freizeit- und Kinderlärm oder Musik verbunden sei und anders als die Gewerbenutzung auch abends und am Wochenende erfolge. Pfiffig hatte vorgebracht, in den Wohnungen sei weniger Besucherverkehr zu erwarten als in den Gewerbeeinheiten. Zudem befinde sich das Gebäude in einem reinen Wohngebiet. Beiden Argumenten folgte der BGH nicht: Pfiffigs Miteigentümer müssten darauf vertrauen können, dass der professionelle Charakter der Anlage, der mit der ausschließlich gewerblichen Nutzung einhergehe, erhalten bleibe und sich jeder Miteigentümer an die Zweckbestimmung halte. Auch die Entscheidung des BGH vom Oktober 2017, in der die Nutzung von Teileigentumseinheiten als Heim grundsätzlich für zulässig erachtet wurde (vgl. ZWE 2018, 26), half Pfiffig nicht. Im vorliegenden Fall gehe es gerade nicht um eine Nutzung als Heim, sondern als „klassische“ Wohnung, so der BGH, der wie das Landgericht einen Verstoß Pfiffigs gegen § 15 III WEG sah: Die Nutzung einer Teileigentumseinheit als Wohnung habe zu unterbleiben.

Gefangen in der ursprünglichen Nutzung?

Dieses Ergebnis war für Pfiffig natürlich misslich, was auch die Richter des BGH sahen. Pfiffig hatte für sich noch § 10 II 3 WEG ins Feld geführt. Nach dieser Vorschrift kann jeder Miteigentümer die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, wenn ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Miteigentümer, unbillig erscheint. Das Landgericht hatte in der Nichtvermietbarkeit von Pfiffigs Gewerbeeinheit eine lediglich vorübergehende Schwierigkeit gesehen. Da war sich der BGH nicht so sicher: mit leer stehender Apotheke und weiteren leer stehenden Arztpraxen, dem Ärztehaus gegenüber und den Aussagen der Makler vor dem Amtsgericht sei es jedenfalls möglich, dass die geforderten schwerwiegenden Gründe zugunsten Pfiffigs vorlägen. Dann würde ein Festhalten an der Teilungserklärung jegliche wirtschaftliche Verwertung der Einheit verhindern, ihn also quasi enteignen. In diesem Fall müsse aber auch geklärt werden, welche Gründe zugunsten von Pfiffigs Miteigentümern dafür sprächen, an der bisherigen Teilungserklärung festzuhalten, also welche Nachteile sie bei einer Wohnnutzung zu befürchten hätten. Dauerhafter Leerstand sei auch für die anderen, (noch) vermietenden Eigentümer von Nachteil, so der BGH.

Indes: Das alles half Pfiffig im konkreten Fall nicht. Denn selbst wenn er einen solchen Anspruch hätte, hilft ihm das nicht in einem Prozess, in dem die Miteigentümer gegen eine der Teilungserklärung widersprechende Nutzung vorgehen. Juristen sagen: ein solcher Anspruch Pfiffigs wäre keine Einrede in einem solchen Prozess. Die BGH-Richter meinten: Es muss klar und eindeutig sein, welche Vereinbarungen im Verhältnis der Eigentümer untereinander gelten. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn ein Anpassungsanspruch im Wege einer Einrede geltend gemacht werden kann. Dann würde im vorliegenden Fall die Unterlassungsklage der Miteigentümer zwar wegen eines bestehenden Anpassungsanspruchs von Pfiffig abgewiesen. Ein solches Gerichtsurteil allein würde die Gemeinschaftsordnung aber nicht ändern. Es entstünde zudem die merkwürdige Situation, dass die „regeltreuen“ Kläger gegen die eigenmächtige Nutzungsänderung Pfiffigs (die ja quasi „mit der Brechstange“ erfolgte) klagen müssten. Grundsätzlich muss aber derjenige, der die Anpassung der Nutzungsregelung erreichen will, einen entsprechenden Änderungsantrag in der Eigentümerversammlung stellen und erforderlichenfalls dann selbst klagen. Eine neue Nutzung darf erst aufgenommen werden, wenn eine geänderte Gemeinschaftsordnung das zulässt. Im Falle des Rechtsstreits also, wenn der Kläger ein rechtskräftiges Urteil zu seinen Gunsten erlangt hat. Bis dahin muss die bislang geltende Gemeinschaftsordnung beachtet werden.

Fazit

Es spricht viel dafür, dass Pfiffig im vorliegenden Fall den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht hat. Er hätte seine Miteigentümer auffordern müssen, die Gemeinschaftsordnung zu ändern, notfalls hätte er diese Änderung einklagen müssen. Erst nach einer entsprechenden Änderung hätte er seine Einheit als Wohnung nutzen dürfen.


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