Zwei Parkplätze, aber bitte schnell!
- Felix Schnellbacher, eid
- 2. Okt. 2018
- 6 Min. Lesezeit

Wohnungseigentum findet sich häufig in (groß-)städtischen Ballungsräumen. Dort ist der Platz knapp – auch der zum Abstellen von Autos. Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Vorgarten zwei zusätzlichen Pkw-Stellplätzen und der Zufahrt zu weiteren Stellplätzen weichen sollte.
Besprechung des BGH-Urteils vom 23.3.2018, Aktenzeichen V ZR 65/17
Die Baugenehmigung für das Gebäude wurde 2004 erteilt. Danach waren Pkw-Stellplätze parallel zum Gebäude zu errichten. Tatsächlich wurden diese im rechten Winkel zum Gebäude errichtet. Dadurch ging zwar Platz für zwei parkende Autos verloren, es entstand aber eine Grünfläche. Die spätere Beklagte, sie sei Frau Grün genannt, ist Eigentümerin einer Erdgeschoss-Wohnung und benutzt diese vor ihrer Wohnung liegende Fläche als Terrasse bzw. als Vorgarten. Diese Fläche ist gemeinschaftliches Eigentum, Frau Grün hat daran aber ein Sondernutzungsrecht erworben, das auch ins Grundbuch eingetragen wurde.
Dies ist ein Auszug aus Heft 10/2018 der ZWE, Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht, in der Rubrik "BGH für Verwalter". Ein kostenloses Probeabonnement der Zeitschrift über drei Monate oder ein reguläres Abonnement erhalten Sie hier. Teilnehmende an unseren Fachgesprächen zum WEG in Fischen erhalten im Folgejahr ein ZWE-Abonnement.
Das Ganze wurde zu einem Fall, weil die Stadtverwaltung auf den in der Baugenehmigung vorgesehenen Parkplätzen beharrte. Auch die meisten anderen Wohnungseigentümer dürften sich über die Aussicht auf zwei zusätzliche Parkplätze gefreut haben: Eine Eigentümerversammlung beschloss 2010, dass Frau Grün es zu dulden habe, dass ihr Vorgarten zwei Parkplätzen und der Zufahrt zu weiteren Stellplätzen weitgehend weichen solle.
Frau Grün wehrte sich; es ging vor Gericht. Die Stadtverwaltung trat dem Rechtsstreit auf Seiten der Gemeinschaft bei. Das Amtsgericht entschied gegen Frau Grün. Entsprechend dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) habe sie den Verlust ihres Sondernutzungsrechtes zu dulden. Allerdings stehe ihr dafür eine Entschädigung von 38 000 EUR zu. Frau Grün ging in Berufung. Auch das Landgericht meinte, die Inanspruchnahme der Sondernutzungsfläche sei zwingend erforderlich, um den Vorgaben der bestandskräftigen Baugenehmigung zu entsprechen. Die Stadt habe einen Antrag auf nachträgliche „Legalisierung“ des tatsächlichen Zustandes abgelehnt. Frau Grün habe zwar schon vor dem Amtsgericht eingewandt, die Stellplätze könnten an einer anderen Stelle des Grundstücks errichtet werden, allerdings keine konkrete Fläche dafür benannt. Es sei auch nicht nötig, zuerst die Gemeinschaftsordnung zu ändern. Dadurch werde Frau Grün nicht in ihren Rechten verletzt, weil die klagende Gemeinschaft ohnehin einen Anspruch auf ihre Zustimmung zur Änderung habe. Es werde also lediglich Zeit vergeudet. Frau Grün ging vor den BGH.
Gemeinschaftseigentum in (niemals unbegrenzter) Sondernutzung
Der BGH geht mit der herrschenden Meinung davon aus, ein Sondernutzungsrecht habe zwei Komponenten: Die positive als das Recht zur Nutzung von Gemeinschaftseigentum durch den Berechtigten und die negative Komponente, die die anderen Wohnungseigentümer von der Nutzung ausschließt. Das sei eine Einschränkung des sonst nach § 13 II 1 WEG jedem Wohnungseigentümer zustehenden Rechts, das gemeinschaftliche Eigentum mitgebrauchen zu dürfen. Es widerspräche daher dem Wesen eines Sondernutzungsrechtes, wenn der Berechtigte dauerhaft den Mitgebrauch durch andere Wohnungseigentümer dulden müsse, meint der BGH.
Allerdings wurde von Obergerichten auch schon die Meinung vertreten, ein Berechtigter könne aus dem Gemeinschaftsverhältnis nach Treu und Glauben verpflichtet sein, seine Sondernutzungsfläche dauerhaft zur Mitbenutzung durch die anderen Wohnungseigentümer zur Verfügung zu stellen, und zwar ohne dass dafür zuvor die die Vereinbarung, aufgrund derer das Sondernutzungsrecht eingeräumt wurde, geändert werden müsse. Dafür sei gegebenenfalls eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Einen solchen Fall nahmen die Gerichte etwa an, wenn die Sondernutzungsfläche für die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Anforderung (neben dem Stellplatz beispielsweise der Kinderspielplatz) zwingend erforderlich war. Im Fall hatten sich Amtsgericht und Landgericht eben darauf berufen.
§ 242 BGB vs. § 10 II 3 WEG – mehr als ein Streit um die richtige Norm
Der BGH meint jetzt, seit der WEG-Novelle des Jahres 2007 gehe das nicht mehr. Der Gesetzgeber habe nämlich in § 10 II 3 WEG eine Regelung für solche Fälle geschaffen. Eine dauerhafte Änderung oder gar Aufhebung eines Sondernutzungsrechts gegen den Willen des Berechtigten könne nur noch nach Maßgabe dieser Norm erfolgen – und auf dem darin geregelten Weg. Die gemeinschaftlich getroffene Grundsatzentscheidung, ein Sondernutzungsrecht einzuräumen, könne nur durch eine gleichartige gemeinschaftliche Entscheidung geändert oder rückgängig gemacht werden. Das gelte auch, wenn – wie hier der Fall – das Sondernutzungsrecht bereits in der Teilungserklärung bzw. der Gemeinschaftsordnung begründet worden ist.
Der BGH hatte also zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 10 II 3 WEG vorlagen, und ob das dort vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden war. Danach kann jeder Wohnungseigentümer die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Das gilt selbst dann, wenn das Sondernutzungsrecht – wie hier – im Grundbuch steht. Diese Eintragung ändere dessen Charakter nämlich nicht, sondern stelle nur die Geltung gegenüber Sondernachfolgern sicher. Daher könne sich aus § 10 II 3 WEG durchaus ein Anspruch auf Aufhebung eines Sondernutzungsrechts ergeben, allerdings nur als letztes Mittel, etwa wenn die Fläche zwingend benötigt wird, um unabwendbaren behördlichen Auflagen nachzukommen, und regelmäßig nur gegen Zahlung einer Entschädigung.
Also hatten die Vorinstanzen richtig entschieden und nur den falschen Paragrafen genannt? Nein, sagt der BGH. Zwar entspreche die Anlage nicht den Festsetzungen der Baugenehmigung und die Stadt poche auf die „Umwidmung“ des Vorgartens. Das allein rechtfertige den Rechtsentzug aber nicht. Die Gemeinschaft habe andere Möglichkeiten nicht ausreichend verfolgt, bevor sie Frau Grün in Anspruch nahm. Sie hatte zwar gegen die Stellplatzauflage vor dem Verwaltungsgericht geklagt, diese Klage aber letztlich ohne hinreichende Begründung nicht weiter verfolgt. Es gab auch keine Feststellungen dazu, ob die Stellplätze an anderer Stelle errichtet werden könnten. Es sei aber Sache der Gemeinschaft (und nicht von Frau Grün) darzulegen und ggf. zu beweisen, dass es keine andere Möglichkeit gebe, die behördlich geforderten Stellplätze andernorts zu schaffen. Das sei bislang nicht geschehen.
Klare Verhältnisse sind dem BGH sehr wichtig, gerade im Wohnungseigentum
Der BGH ging noch weiter: selbst wenn der Gemeinschaft der Beweis, dass es anders nicht geht, gelänge und die Aufhebung des Sondernutzungsrechtes verlangt werden könnte, müsse zunächst die Gemeinschaftsordnung geändert werden. Das liege an der Besonderheit der Wohnungseigentümergemeinschaft. Vereinbarungen über den Gebrauch und die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums haben grundlegende Bedeutung, ähnlich wie die Satzung für einen Verein. Die Hürden des § 10 II 3 WEG seien bewusst hoch und hätten den Sinn, den Wohnungseigentümern gerade wegen der Unauflöslichkeit der Gemeinschaft (§ 11 WEG) eine dauerhafte Grundlage für Verwaltung und Gebrauch ihres gemeinschaftlichen Eigentums zu geben.
Gerade wegen dieser auf Dauer angelegten Verbundenheit in der Gemeinschaft solle und müsse Klarheit herrschen, ob und in welchem Umfang die gesetzlichen Bestimmungen oder davon abweichende Vereinbarungen maßgeblich sind, so der BGH weiter. Sicherheit bestehe nur, wenn Änderungen der Vereinbarungen erst dann wirksam werden, wenn die Gemeinschaftsordnung rechtskräftig geändert ist, und nicht bereits, wenn ein Wohnungseigentümer Anspruch darauf hat. Der Käufer einer Eigentumswohnung müsse sich auf das verlassen können, was in der Gemeinschaftsordnung stehe. Bis zur Rechtskraft einer etwaigen Verurteilung zur Änderung der Gemeinschaftsordnung müsse Frau Grün also den Entzug ihres Sondernutzungsrechtes nicht dulden.
Kein Fall der fehlerhaften Erstherstellung
Dann schaute sich der BGH noch an, ob sich ein Anspruch der Gemeinschaft gegen Frau Grün vielleicht aus dem Erstherstellungsanspruch gemäß § 21 IV iVm § 21 V Nr. 2 WEG ergeben könnte. Danach kann jeder Wohnungseigentümer grundsätzlich verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum erstmals in einen der Teilungserklärung entsprechenden Zustand versetzt wird. Dabei ist die Teilungserklärung der primäre Maßstab, Bauordnungsrecht oder die Baugenehmigung kommt nur dort zum Zug, wo die Erklärung eine Lücke lässt. Hier entsprach der Zustand des Gebäudes der Teilungserklärung. Dass diese insoweit nicht der Baugenehmigung entsprach, war hier nicht relevant. Nach § 21 IV WEG richtet sich die ordnungsmäßige Verwaltung vor allem nach den Vereinbarungen und Beschlüssen.
Aufgeschoben ist nicht (nicht) aufgehoben
Der gegen Frau Grün geltend gemachte Duldungsanspruch bestand also nicht. Das ist für Frau Grün aber nicht zwingend ein Happy End. Sollten sich nämlich tatsächlich keine alternativen Stellplätze finden und sollte die Gemeinschaft dann eine Änderung der Gemeinschaftsordnung erzwingen, könnte sie ihr Sondernutzungsrecht doch noch verlieren, freilich nur gegen angemessene Entschädigung.
Fazit: einmal eingeräumte Sondernutzungsrechte an Gemeinschaftseigentum sind gegen den Willen der dadurch Begünstigten nur schwer zu ändern oder gar aufzuheben. Dies gilt selbst bei „behördlichem Druck“, wie dieser Fall deutlich macht. Und ohne rechtskräftige Änderung der Vereinbarung, mit der das Sonderrecht eingeräumt wurde, geht es gar nicht. Das erscheint auch richtig: wer ein Sondernutzungsrecht erwirbt, vertraut auf dessen Bestand.