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Baumaßnahmen im gemeinschaftlichen Interesse

  • Dr. David Greiner, Rechtsanwalt, Tübingen
  • 16. Okt. 2018
  • 2 Min. Lesezeit

Die gesetzliche Regelung in § 22 WEG ist undurchsichtig und in der Praxis schwer zu vermitteln. Inhaltlich räumt das Gesetz der Erhaltung des bestehenden Zustands Priorität vor Änderungen ein. Dass sich die Anforderungen an ein Gebäude im Laufe der Jahrzehnte wandeln und entsprechender Änderungsbedarf entsteht, spiegelt sich im Gesetz nicht wieder. Abgesehen von den praktisch nicht vorkommenden Fällen der Einstimmigkeit (§ 22 Abs. 1 WEG) können Änderungen am Gebäude nur als modernisierende Instandsetzung gem. § 22 Abs. 3 WEG oder als Modernisierung gem. § 22 Abs. 2 WEG beschlossen werden. Schon die im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen sind oftmals kaum zu erfüllen. Diese dem Gesetz immanente „Veränderungsfeindlichkeit“ wird durch die Rechtsprechung verstärkt, indem hohe Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen über bauliche Maßnahmen gestellt werden. Die Konsequenz ist ein zunehmender Sanierungsstau der Wohnungseigentumsanlagen; sinnvolle Neuerungen unterbleiben. Dieser Befund ist desto misslicher, als Änderungen heute dringender als je zuvor sind. In seinem Sonderbericht vom 8.10.2018 weist der Weltklimarat auf die Notwendigkeit der Begrenzung der Erderwärmung hin und fordert „schnelle, weit reichende und nie dagewesene Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft“. Das derzeitige Wohnungseigentumsrecht verhindert die im Gebäudebestand erforderlichen Änderungen.

Dieser Kurzbeitrag wurde im Rahmen des 44. Fachgesprächs des eid vom 24. bis 26. Oktober 2018 veröffentlicht. Der ausführliche Beitrag wird 2019 in der Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht (ZWE) erscheinen. Teilnehmende des Fachgesprächs erhalten im Folgejahr ein kostenloses Abonnement dieser Zeitschrift als Teil ihrer Teilnahmegebühr.

Aus dem allgemeinen Gebot ordnungsmäßiger Verwaltung (§ 21 Abs. 3 und 4 WEG) leiten Rspr. und h.M. zahlreiche konkrete Vorgaben ab: Zu jeder nicht ganz untergeordneten Maßnahme sind drei vergleichbare Angebote einzuholen. Sonderfachleute werden zwar (noch) nicht ausdrücklich gefordert; ihre Hinzuziehung ist de facto aber zumindest bei größeren Maßnahmen unvermeidlich, weil ansonsten kaum eine Vergleichbarkeit der einzuholenden Angeboten herzustellen ist. Die Eigentümer sind vor der Beschlussfassung umfassend zu informieren. Die gefassten Beschlüsse müssen wie Grundbucheintragungen aus sich heraus verständlich und bestimmt sein. Eine Delegation von Entscheidungskompetenzen ist grundsätzlich nicht erlaubt. Verstöße im Verfahren der Entscheidungsfindung führen zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse, auch wenn das Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Die h.M. ist zu hinterfragen: Das Gebot der Ordnungsmäßigkeit eines Beschlusses sollte nicht auf das Verfahren der Beschlussfassung, sondern auf das Ergebnis bezogen werden. Die ins Detail gehenden Vorgaben zum Verfahren der Beschlussfassung beschneiden in unzulässiger Weise den der Gemeinschaft zustehenden Beurteilungsspielraum. Eigentümerbeschlüsse sind in puncto Bestimmtheit nicht nach dem Maßstab von Grundbucheintragungen zu beurteilen; den derzeitigen Anforderungen kann auch ein versierter Verwalter ohne anwaltliche Hilfe kaum genügen. Die Anforderungen der „Drei-Angebote-Rechtsprechung“ sind bei der derzeitigen Konjunktur ebenfalls kaum erfüllbar. Das Verbot jeglicher Entscheidungsdelegation ist praxisfern.


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