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Was nichts wird, wird verwirkt?

  • Felix Schnellbacher, eid
  • 24. Jan. 2019
  • 4 Min. Lesezeit

Auf Gastronomiebetriebe gibt es unterschiedliche Sichten: als Gast, Gastwirt, Behörde oder Anwohner. In einem Fall vor dem BGH ging es um die Erweiterung einer Gaststätte um eine Außenterrasse. Das Restaurant befand sich in einer Wohn- und Geschäftshausanlage, in der es laut Teilungserklärung neben Wohnungen nur „Läden, Praxen und Büros“ geben sollte. Das hatte nur viele Jahre niemand moniert.

Besprechung des BGH-Urteils vom 15.12.2017, Az.: V ZR 275/16

Köln liegt an der Adria – jedenfalls gefühlt. Das mag der Gedanke des Gastwirts gewesen sein, der hier Salvatore heißen soll. Er beantragte für seine Gaststätte, das öffentliche Straßenland davor als mit einem Zelt umgrenzte Außenterrasse nutzen zu dürfen. Dort sollte Platz für etwa 50 weitere Gäste sein. Die Stadt erteilte die Genehmigung, seit 2014 wurden Salvatores Gäste auch draußen bewirtet.

Dies ist ein Auszug aus Heft 1-2/2019 der ZWE, Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht, in der Rubrik "BGH für Verwalter". Ein kostenloses Probeabonnement der Zeitschrift über drei Monate oder ein reguläres Abonnement erhalten Sie hier. Teilnehmende an unseren Fachgesprächen zum WEG in Fischen erhalten im Folgejahr ein ZWE-Abonnement. Die Gaststätte war Teil einer Anlage, die laut Teilungserklärung aus „24 Läden, Praxen und Büros, 14 Wohnungen und 49 Tiefgaragenstellplätze[n]“ bestand. Gegen die Außenterrasse regte sich Unmut unter den Eigentümern: Zwar wurde in Salvatores Teileigentumseinheit schon seit der Aufteilung des Gebäudes 1986 eine Gaststätte betrieben. Doch sei diese Nutzung in der Teilungserklärung gerade nicht vorgesehen und müsse von den anderen Miteigentümern nicht hingenommen werden, meinten die anderen Eigentümer jetzt. Die Eigentümerversammlung beschloss deshalb 2015, Rechtsanwälte mit der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen gegen Salvatore zu beauftragen. Es sollte kein einzelner Eigentümer klagen, sondern vielmehr die Gemeinschaft die Rechte der einzelnen Eigentümer vor Gericht wahrnehmen. Das Amtsgericht gab der Gemeinschaft Recht, das Landgericht Salvatore. Dagegen legte die Gemeinschaft Revision ein, es ging vor den BGH. Klagebefugnis und Beeinträchtigung des Eigentums In zwei Punkten herrschte Einigkeit in allen Instanzen: Die Gemeinschaft durfte gegen Salvatore klagen. Nach § 10 VI 3 Halbs. 2 WEG konnte die Gemeinschaft die Ansprüche der einzelnen Eigentümer an sich ziehen („vergemeinschaften“). Materiell berief sich die Gemeinschaft auf § 15 III WEG und § 1004 BGB. Nach der WEG-Vorschrift kann jeder Miteigentümer vom anderen verlangen, dass er sein Miteigentum „rechtmäßig“ nutzt, sich also an das Gesetz sowie die Vereinbarungen und Beschlüsse der Gemeinschaft hält. Nach der BGB-Norm kann ein Eigentümer von einem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung seines Eigentums verlangen und auf Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen klagen. Ferner bestand Einigkeit, dass ein Restaurant keine zulässige Nutzung einer Teileigentumseinheit ist, wenn die Teilungserklärung dort nur „Läden, Praxen und Büros“ erlaubt. Salvatore half nicht, dass ein Gutachten im Rahmen der Zwangsversteigerung, über die er 2004 Eigentümer der Einheit wurde, eine andere Bezeichnung gewählt hatte. Der BGH hatte 2015 entschieden, dass eine Gaststätte gerade kein „Laden“ im Sinne einer Teilungserklärung ist. Noch fernliegender erschiene eine Eingruppierung als Büro oder Praxis. Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung eine andere als die in der Teilungserklärung vorgesehene Nutzung zulässig sein, wenn sie typischerweise nicht mehr stört als die erlaubte. Das war hier aber unstreitig nicht der Fall. Ist dieser Anspruch verwirkt? Der Streit vor Gericht drehte sich deshalb vor allem um die Frage: Konnte und durfte Salvatore darauf vertrauen, dass die Gemeinschaft den Betrieb seines Restaurants (und dessen Erweiterung) entgegen der Regelung in der Teilungsordnung weiter dulden werde? Oder verstößt das Unterlassungsbegehren nach so vielen Jahren gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)? Die Rechtsprechung macht die so genannte Verwirkung eines zuvor bestehenden Anspruchs von zwei Punkten abhängig. Seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, muss eine gewisse Zeit verstrichen sein (sog. Zeitmoment). Zusätzlich muss das Vertrauen des Anspruchsgegners auf die Fortsetzung dieses Zustandes schutzwürdig sein (Umstandsmoment). Das Zeitmoment … Der Betrieb einer Gaststätte seit 1986 beeindruckte die BGH-Richter nicht. Denn mit der Erweiterung des Betriebes um die Außenterrasse sei quasi auch die Störung erweitert worden. Das schließe eine Berufung auf den vorangegangenen Zeitraum der (geringeren) geduldeten Störung aus. So hatte es der BGH bereits entschieden, als ein lediglich geduldetes Restaurant seine Öffnungszeiten weiter in die Nacht ausdehnen wollte, und als eine Einheit neu vermietet wurde. Für die Außenterrasse könne nichts anderes gelten. Auch dass die neue, zusätzliche Störung räumlich nicht vom Wohn- und Geschäftshaus, sondern von öffentlichem Straßenland ausgehe, änderte an dieser Einschätzung nichts: der zusätzliche Lärm hänge unmittelbar mit der zweckwidrigen Nutzung der Teileinheit zusammen. Schließlich gebe es für die Annahme eines Zeitmoments keinen festen Zeitraum, vielmehr komme es auf die Umstände des Einzelfalls an. Die könnten in diesem Fall aber auch dahin gestellt bleiben, weil Salvatore sich jedenfalls auf das Umstandsmoment nicht berufen könne.

… und das Umstandsmoment müssen vorliegen. Dazu hätten die übrigen Eigentümer zuvor einen Vertrauenstatbestand schaffen müssen. Sie hätten durch ihr gesamtes Verhalten deutlich machen müssen, dass sie ihre Rechte nicht mehr geltend machen werden. Anders als das LG ließ der BGH dafür das bloße Verstreichen von (viel) Zeit allein nicht gelten. Die anderen Eigentümer hätten seit 2004 nicht zu erkennen gegeben, dass sie mit der zweckwidrigen Nutzung einverstanden seien. Dafür hätte es beispielsweise Erklärungen oder Beschlussanträgen auf Eigentümerversammlungen bedurft. Auch die Tatsache, dass Salvatore 2004 auf einem Tiefgaragenplatz eine Kühlzelle aufgestellt hatte und für seine Entlüftungsanlage 2005 mit Genehmigung des Verwalters in Gemeinschaftseigentum eingriff, half ihm nicht. Der BGH verwies darauf, dass der Verwalter seine Genehmigung ausdrücklich als widerruflich bezeichnet habe. Zusätzlich habe der Verwalter Salvatore darauf hingewiesen, dass er, wenn kein allstimmiger Beschluss zu seinen Gunsten gefasst werde und sich auch nur ein anderer Eigentümer dagegen wende, den Zustand vor dem Eingriff auf eigene Kosten wieder herstellen müsse. Ein solcher allstimmiger Beschluss wurde nie gefasst. Auch sonst waren für den BGH keine Momente zu erkennen, die ein Vertrauen Salvatores hätten schaffen können. Kein schutzwürdiges Vertrauen, nirgends Also war der Anspruch der Gemeinschaft nicht verwirkt. Salvatore musste nicht nur die Außenterrasse aufgeben, sondern sein gesamtes Restaurant. Köln liegt nicht an der Adria. Das gilt besonders für Immobilien, die dem WEG unterliegen. Wer in oder aus einer solchen gastronomisch-mediterrane Verhältnisse schaffen will, ist gut beraten, zuvor umfassend zu prüfen, ob dort überhaupt ein Restaurant betrieben werden darf. Dies gilt selbst dann, wenn ein solches bereits seit Jahrzehnten besteht.


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