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Geteiltes Leid im Bruchteilseigentum

  • Felix Schnellbacher
  • 21. März 2019
  • 5 Min. Lesezeit

Gemeinsames Eigentum verbindet oder schweißt gar zusammen, heißt es oft. In einem Fall vor dem BGH ging es um ein Ehepaar, das seit Jahrzehnten in der ihm zu je ½ Miteigentumsanteil gehörenden Eigentumswohnung wohnte. Jetzt störte einer der beiden den Gemeinschaftsfrieden derart heftig, dass die Gemeinschaft ein Eigentumsentziehungsverfahren nach § 18 WEG einleitete. Der andere störte nicht. Was tun?

Besprechung des BGH-Urteils vom 14.09.2018, Az. V ZR 138/17

Die inzwischen hochbetagten Eheleute, sie seien hier Tisch genannt, lebten schon seit Jahrzehnten in ihrer Wohnung. Bei Herrn Tisch traten in den letzten Jahren psychische Störungen aus dem Formenkreis der Paranoia auf. Er beschmierte mehrfach Gemeinschaftseigentum und Briefkästen mit beschimpfenden Schriftzügen. Auch beleidigte er wiederholt andere Wohnungseigentümer mit rassistischen Ausdrücken und Fäkalsprache, es kam schließlich zu erheblichen Körperverletzungen, die in einem Fall nur durch Glück nicht zu schweren Verletzungen führten.

Dies ist ein Auszug aus Heft 3/2019 der ZWE, Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht, in der Rubrik "BGH für Verwalter". Ein kostenloses Probeabonnement der Zeitschrift über drei Monate oder ein reguläres Abonnement erhalten Sie hier. Teilnehmende an unseren Fachgesprächen zum WEG in Fischen erhalten im Folgejahr ein ZWE-Abonnement.

Die Verwaltung schrieb mehrfach an die Tischs und mahnte sie ab, ohne Erfolg. Eine Eigentümerversammlung beschloss daraufhin, das gerichtliche Eigentumsentziehungsverfahren nach § 18 WEG gegen die Eheleute Tisch einzuleiten. Nach dieser Vorschrift können die anderen Wohnungseigentümer die Veräußerung des Wohneigentums verlangen, wenn sich ein Wohnungseigentümer einer so schweren Verletzung der ihm gegenüber anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtungen schuldig gemacht hat, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht zugemutet werden kann. Das änderte das Verhalten von Herrn Tisch indes ebenso wenig wie das folgende Gerichtsverfahren. Frau Tisch versuchte, auf ihren Mann einzuwirken, drang damit aber nicht durch. Nach § 14 Nr. 2 WEG ist jeder Wohnungseigentümer zwar verpflichtet dafür zu sorgen, dass von Personen, die seinem Hausstand angehören, keine Störungen der Gemeinschaft ausgehen. Diese Norm war hier aber nicht einschlägig: Herr Tisch war nicht bloßer Unter- oder Mit-Mieter, die Wohnung gehörte den Eheleuten je zur Hälfte. Frau Tisch selbst störte den Gemeinschaftsfrieden nicht. Die Gemeinschaft verklagte beide Eheleute darauf, ihre Wohnung zu verkaufen. Das Amtsgericht verurteilte sie, sie gingen in Berufung. „Sippenhaft“ im Wohnungseigentumsrecht? Das Landgericht stellte fest, dass Herr Tisch sich so schwerer Verletzungen der ihm gegenüber den anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtungen schuldig gemacht habe, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden könne. Allerdings könne die Gemeinschaft deshalb nur von ihm und nicht auch von Frau Tisch die Veräußerung des Wohnungseigentums verlangen. Sie müsse sich das Fehlverhalten ihres Mannes nicht zurechnen lassen. Sie müsse ihn auch weder in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen noch ihn von seinen Pflichtverletzungen abhalten. Für diese Fälle müsse sie befürchten, dass sich der Verfolgungswahn und das aggressive Verhalten ihres Mannes auch gegen sie richteten, deshalb sei ihr das nicht zumutbar. Herr Tisch hatte seine Verurteilung inzwischen akzeptiert, das LG wies die Klage gegen Frau Tisch aber ab. Die Gemeinschaft ging vor den BGH, der jetzt zu entscheiden hatte, ob sich der Entziehungsanspruch in einer solchen Konstellation auf den störenden Miteigentümer beschränkt. Objekt- oder Subjektprinzip Weil die Tischs nicht im Güterstand der Gütergemeinschaft lebten, das gemeinschaftliche Eigentum also kein so genanntes Gesamthandseigentum war, musste sich der BGH dazu in einem Meinungs-Streit positionieren. Denn bei dem hier vorliegenden Bruchteils- bzw. Miteigentum kann ein Miteigentumsanteil einzeln übertragen werden. Nach der Meinung derjenigen, die das so genannte Objektprinzip vertreten, sind alle Miteigentümer zur Veräußerung verpflichtet, wenn der Entziehungstatbestand nur bei einem von ihnen vorliegt. Anders sei eine Entziehung gar nicht zu bewerkstelligen. Die Vertreter der Gegenmeinung meinen dagegen, veräußerungspflichtig solle nur das störende Subjekt sein, jedenfalls dann, wenn die anderen Miteigentümer versucht haben, auf den Störer mäßigend einzuwirken, ihnen also auch mittelbar nichts vorzuwerfen ist. Der BGH sah sich den Wortlaut von § 18 I WEG an und fand darin Anhaltspunkte sowohl für das Objekt- wie für das Subjektprinzip. Das Subjektprinzip hätte hier zur Folge, dass nur der Anteil von Herrn Tisch zwangsversteigert würde. Wer ersteigert aber eine „halbe Eigentumswohnung“, insbesondere, wenn der Eigentümer der anderen Hälfte dort rechtmäßig weiter wohnen darf? Gut möglich, dass erst einmal niemand geboten hätte, was das Verfahren langwierig gemacht hätte. Ein Gebot in einer solchen Versteigerung macht im Grunde ohnehin nur dann Sinn, wenn der Ersteigerer anschließend eine Teilungsversteigerung beantragt, um auf diesem Weg auch noch Eigentümer der anderen Hälfte zu werden. Ein Versteigerungserlös, der dem Wert der Wohnung auch nur annähernd entspricht, erscheint dabei sehr unwahrscheinlich – misslich für die Tischs. Misslich aber auch für die anderen Eigentümer: Die Entziehung nur seines Miteigentumsanteils hätte den „Störenfried“ ja nicht nachhaltig aus der Anlage „entfernt“. Seine Frau würde dort rechtmäßig weiter wohnen, er würde sie wahrscheinlich oft besuchen. Das wäre den anderen Eigentümern nicht zumutbar gewesen und wäre sicher auch nicht im Sinne des Gesetzgebers. Denn die einer Enteignung nahekommende Entziehung des Wohnungseigentums nach § 18 WEG soll zwar nur als ultima ratio in Betracht kommen, dann aber auch effektiv durchgesetzt werden können. Im Ergebnis sprachen für den BGH die gewichtigeren Gründe für das Objektprinzip: Es musste beiden Eheleuten ihr Wohnungseigentum entzogen werden. Nicht-Störer haben auch ein Recht, das der Störer hätte Dass das gegenüber Frau Tisch, die sich nichts hatte zuschulden kommen lassen, unfair war, sah auch der BGH so. Deshalb nahm er hier eine Analogie vor. Er billigte Frau Tisch ein Recht zu, das der Gesetzgeber nur für störende Wohnungseigentümer vorgesehen hat. Nach § 19 II WEG kann der von der Entziehung betroffene Eigentümer diese (also zum Beispiel: die Zwangsversteigerung) abwenden, wenn er die Störung beseitigt, die durch den Rechtsstreit und das eingeleitete Entziehungsverfahren entstandenen Kosten ersetzt und die weiteren fälligen Verpflichtungen zur Lasten- und Kostentragung erfüllt. Der BGH meint sinngemäß, wenn schon der störende Eigentümer die Möglichkeit hat, den Entzug seines Eigentums auf diese Weise abzuwenden, dann müsse sie auch ein Miteigentümer haben, der zwar selbst nicht gestört habe, dem sein Miteigentum aber dennoch entzogen werden könnte. Dieser Fall sei vom Gesetzgeber nicht mitbedacht gewesen und die dadurch entstandene planwidrige Lücke könne durch die Anwendung dieser Vorschrift geschlossen werden. Wohnung behalten, aber ausziehen Der BGH räumte Frau Tisch also die Möglichkeit ein, das Eigentum an der Wohnung zu behalten, aber er legte die Hürden dafür hoch. Sie müsste ihrem Mann seinen Miteigentumsanteil abkaufen und die von ihm ausgehende Störung dauerhaft beseitigen. Das ließe sich nur durch einen Auszug beider Eheleute bewerkstelligen. So aber könnte wenigstens die Wohnung im Eigentum von Frau Tisch verbleiben, und daraus erzielbare Mieteinnahmen kämen den Tischs andernorts wieder zugute. Alternativ würde ein freihändiger Verkauf der Wohnung mit großer Wahrscheinlichkeit einen höheren Erlös erzielen als einer nach zwei Zwangsversteigerungen. In Deutschland gibt es eine überalternde Gesellschaft mit einer damit verbundenen wachsenden Zahl an Menschen, die unter demenziellem Syndrom leiden. Vor diesem Hintergrund und für Fälle wie diesen hat der BGH eine Lösung gefunden, die salomonisch genannt werden kann, weil sie beiden Seiten so gerecht wie möglich wird.


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