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Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden

  • Felix Schnellbacher
  • 22. Mai 2019
  • 5 Min. Lesezeit

Dieses Wilhelm-Busch-Zitat war die Essenz eines Rechtsstreits vor dem BGH. Darf ein Berufs-Trompeter sein Instrument auch zuhause im Reihenhaus spielen und dort Unterricht erteilen? Oder muss es kein Nachbar dulden, ungebeten ,,den Marsch geblasen" zu bekommen?

Besprechnung des BGH, Urteils vom 26.10.2018-V ZR 143/17

Dies ist ein Auszug aus Heft 5/2019 der ZWE, Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht, in der Rubrik "BGH für Verwalter". Ein kostenloses Probeabonnement der Zeitschrift über drei Monate oder ein reguläres Abonnement erhalten Sie hier. Teilnehmende an unseren Fachgesprächen zum WEG in Fischen erhalten im Folgejahr ein ZWE-Abonnement.

Diese Frage wollte der Kläger, er sei hier Herr Weiche ge­nannt, gerichtlich klären lassen. Er ist Reihenhaus-Nachbar eines Berufs-Trompeters, der hier Herr Blas heißen soll. Blas spielt im Wohnzimmer im Erdgeschoss seines Hauses und in einem Raum unter dem Dach sein Instrument, laut eigenen Angaben höchstens drei Stunden am Tag und meist nicht öfter als an zwei Tagen in der Woche. Außerdem unterrichtet er zuhause Schüler an zwei Stunden in der Woche. Bei alledem halte er sich an die Mittags- und die Nachtruhe. Blas' Trom­pete ist im Wohnzimmer der Weiches nicht zu hören, wenn er im Dachgeschoss und in schwacher Zimmerlautstärke, wenn er in seinem benachbarten Wohnzimmer spielt.

Herr und Frau Weiche möchten, dass Blas' Spiel in ihrem Haus nicht mehr wahrgenommen werden kann. Sie verklagen Herrn und Frau Blas als Miteigentümer ihres Hauses. Das Amtsgericht gibt der Klage statt. Dagegen wehren sich die Blases, das Landgericht ändert das Urteil ab und verurteilt sie dazu, keinen Musikunterricht mehr zu erteilen, nur noch im Dachgeschoss zu spielen und das nur an maximal zehn Stun­den von Montag bis Freitag sowie an maximal acht Sams­tagen oder Sonntagen im Jahr nachmittags für jeweils maxi­mal eine Stunde. Beide Parteien gehen daraufhin vor den BGH. Weiches wollen das Urteil des Amtsgerichts wiederher­stellen, die Blases die vollständige Abweisung der Klage.

Wer stört da?

Die Weiches sind Nießbraucher ihres Reihenhauses, doch stehen diesen nach§ 1065 BGB dieselben Rechte zu, wie sie ein Eigentümer gegenüber einem anderen Eigentümer hätte. Der Fall hätte auch in einer Wohnungseigentumsanlage spie­len können. Dort sind die räumlichen Verhältnisse meist noch enger, es würden zwei (Sonder-)Eigentümer aufeinandertref­fen. Der BGH hatte zu entscheiden, ob die Blases als Störer im Sinne des § 906 BGB zu gelten hatten und den Weiches des­halb ein Unterlassungsanspruch nach§ 1004 BGB zustand.

Dabei stellte der BGH zunächst klar, dass es keinen Anspruch gegen Frau Blas gebe, die nicht die Störerin sei. Die von den Weiches beklagte Störung gehe nicht vom Zustand des ge­meinsamen Hauses, sondern vom Trompetenspiel ihres Man­nes aus. Das sei ihr aber nicht zuzurechnen. Ein Unterlassungs­anspruch käme allenfalls in Betracht, wenn sie eine so ge­nannte mittelbare Handlungsstörerin wäre. Das setze aber die Pflicht voraus, gegen das Trompetenspiel ihres Mannes vor­zugehen. Eine solche Handlungspflicht sei nicht ersichtlich.

Schwieriger war die Klage gegen Herrn Blas. Nach § 906 I BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks von einem anderen Grundstück ausgehende Immissionen insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grund­stücks nur unwesentlich beeinträchtigt. Ob Geräuschimmis­sionen wesentlich sind oder nicht, beurteile sich dabei nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und danach, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten sei, so der BGH. Die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung könne nicht mathematisch exakt, sondern nur auf Grund wertender Be­urteilung festgesetzt werden.

Wann ist eine Geräuschimmission durch Musik wesentlich?

Und im konkreten Fall? Der BGH fand, das LG habe die Schwelle zur Wesentlichkeit der Störung zu niedrig angesetzt. Es sei mit einer wertenden Beurteilung nicht vereinbar, das Trompetenspiel im eigenen Wohnzimmer vollständig zu verbieten. Viele übliche Beschäftigungen im häuslichen Rah­men seien mit Geräuschen verbunden. Bei der verbreiteten geschlossenen Bauweise und unzureichendem Schallschutz könne völlige Stille nicht verlangt werden. Das Musizieren und das Üben seien sozialadäquate und übliche Formen der Freizeitbeschäftigung, die daraus herrührenden Geräusche seien jedenfalls in gewissen Grenzen zumutbar und deshalb als unwesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks anzusehen. Der BGH stellte bei dieser Gelegenheit klar, dass es unwesentlich sei, ob der Musiker Amateur oder (wie hier) Profi sei, beide hätten die gleichen Rechte. Musizieren ge­höre zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. Auch dürfe Blas Unterricht erteilen, jedenfalls dann, wenn dieser nicht mehr störe, als wenn er allein spiele.

Der BGH verkannte nicht, dass auch die Weiches ein Recht auf Entspannung und Erholung haben. Ein Ausgleich könne nur durch eine gerichtlich zu bestimmende zeitliche Begren­zung erfolgen. Blas habe sich an die üblichen Ruhestunden zur Mittags- und Nachtzeit zu halten.

Der BGH kann nicht überall sein

Allerdings sah sich der BGH nicht in der Lage, im konkreten Fall die Zeiten, zu denen musiziert werden dürfe, abschlie­ßend festzulegen: Wann Lärmimmissionen im Einzelfall die Schwelle zur Wesentlichkeit überschreiten, unterliege weit­gehend der Wertung des Tatrichters. Der BGH gab diesem aber ein paar Entscheidungshilfen zur Hand.

Das LG habe die Beeinträchtigung der Weiches durch Blas' Trompetenspiel aufgrund eigener Wahrnehmung treffen können, hierzu sei kein Sachverständiger nötig. Dies gelte zwar nicht für die Einhaltung der TA-Lärm oder der VDI­Richtlinie 2058, aber die biete bei Hausmusik ohnehin nur einen beschränkten Erkenntnisgewinn: sie sei für andere Ar­ten von Lärm gedacht und es wäre absurd, einem musizie­renden Nachbarn leise Töne zu erlauben, laute aber zu ver­bieten. Deshalb sei der Tatrichter gehalten, sich durch einen Ortstermin ein eigenes Bild von der Geräuschkulisse zu ver­schaffen.

Für die Ruhezeiten könne es, so der BGH weiter, keine festen Maßstäbe geben. In früheren Entscheidungen hatte er für Wohnungseigentumsanlagen solche von 20 Uhr bis 8 Uhr und von 12 bis 14 Uhr als angemessen betrachtet. Allerdings seien die konkreten Umstände jedes Einzelfalls zu betrach­ten, auch die konkreten Räumlichkeiten und die bespielten Instrumente. Dabei komme es nicht auf die individuellen Lebensumstände klagender Nachbarn an. Der Sohn der Wei­ches arbeitet als Gleisbauer überwiegend nachts und schläft tagsüber. Der BGH stellt darauf ab, dass Musizieren unmög­lich werden könne, wenn jeder Nachbar auf die Einhaltung anderer Ruhezeiten poche. Gesundheitliche Einschränkun­gen des Klägers müsse der Tatrichter zwar berücksichtigen, allerdings könne auch daraus kein vollständiges Verbot re­sultieren.

Eine Beschränkung des Musizierens auf zwei bis drei Stun­den an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen könne als grober Richtwert dienen. Wenn - wie hier - ein Ausweichen des Musikers auf Räume möglich ist, die den Nachbarn weniger stören, könne das berücksichtigt werden, vor allem, wenn der Nachbar gesundheitlich beein­trächtigt sei. Ruhezeiten dürften das Musizieren abends und am Wochenende nicht weitgehend ausschließen, denn viele Menschen kommen (nur) genau zu diesen Zeiten zum Musi­zieren.

Sollte der von Blas gegebene Musikunterricht stärker stören als wenn er allein spiele, müsse er auch stärker reglementiert werden. Dies könne durch eine stärkere zeitliche Begrenzung und/oder dadurch geschehen, dass Blas nur im Dachgeschoss seines Hauses unterrichten dürfe.

Gedeihliches Zusammenleben auch auf engem Raum

Wieder einmal musste der BGH zwischen den gegebenen Rechten von Nachbarn abwägen. Das musste er schon in vielen anderen Fällen, genannt sei nur das Rauchen auf über­einander liegenden Balkonen. Ob das Urteil für nachbar­schaftlichen Frieden sorgen wird? Einvernehmliche Lösun­gen sind immer die besten. Dabei kann ein neutraler Dritter, ein Mediator etwa, manchmal helfen. Auch ein versierter Wohnungseigentumsverwalter mag von Fall zu Fall vermit­telnd helfen können. Dabei darf er aber keinesfalls seine Neutralitätspflicht verletzen, selbst wenn sich mehrere oder gar alle übrigen Eigentümer gegen das Musizieren wenden. Eine Sache der Gemeinschaft ist die Durchsetzung möglicher Unterlassungsansprüche nur, wenn ein entsprechender Beschluss gefasst wurde.


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