Ein WEG-„Laden“ zur Vermeidung von Obdachlosigkeit?
- Felix Schnellbacher
- 20. Aug. 2019
- 5 Min. Lesezeit

Seit Jahren steigende Wohnungsmieten und Immobilienpreise haben auch die Zahl der von Obdachlosigkeit Betroffenen steigen lassen. Ein sozialer Träger hatte einen „Laden“ einer dem WEG unterliegenden Immobilie angemietet. Dort wurden in städtischem Auftrag Menschen ohne Wohnung tageweise untergebracht und betreut. Dagegen wehrte sich die Gemeinschaft, der BGH musste entscheiden.
Besprechung des BGH-Urteils vom 8.3.2019 – V ZR 330/17
Dies ist ein Auszug aus Heft 7/2019 der ZWE, Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht, in der Rubrik "BGH für Verwalter". Ein kostenloses Probeabonnement der Zeitschrift über drei Monate oder ein reguläres Abonnement erhalten Sie hier. Teilnehmende an unseren Fachgesprächen zum WEG in Fischen erhalten im Folgejahr ein ZWE-Abonnement.
Die Biedermeiers, so seien zusammenfassend die klagenden Miteigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft genannt, ärgerten sich. Einem ihrer Miteigentümer, er soll hier Laub heißen, gehörten zwei Teileigentumseinheiten, in denen sich früher Läden befunden hatten. Scheinbar nach Vermarktungsschwierigkeiten und Leerstand hatte Laub diese beiden Einheiten (je vier Räume, zwei Flure, ein Bad und wohl auch eine Teeküche) an einen sozialen Träger vermietet. Dieser brachte dort in städtischem Auftrag tageweise wohnungslose Menschen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit unter und betreute sie. Gelegentlich wurden einzelne Wohnungslose auch länger untergebracht, bis sich eine andere Bleibe für sie gefunden hatte.
Wohnungs- oder Obdachlosigkeit ist in aller Regel nicht das einzige Problem, das die davon betroffenen Menschen haben. Häufig kommen etwa Suchterkrankungen oder psychische Störungen hinzu. Die Biedermeiers beklagten sich über Rauchen im Innenhof, Hinterlassen von Zigarettenkippen im Eingangs- und Hofbereich, Nichtschließen von Türen, Klingeln bei anderen Bewohnern, Blockieren des Hauseingangs durch Personen und Gepäck sowie über das Verschmutzen der Anlage. Mit Mehrheit beschloss eine Wohnungseigentümerversammlung 2015, Laub auf Unterlassung dieser Nutzung in Anspruch zu nehmen. Anspruchsgrundlage war § 15 III WEG iVm § 1004 BGB. Nach dieser Norm des WEG kann jeder Wohnungs- bzw. Teileigentümer vom anderen verlangen, dass das jeweilige Eigentum entsprechend der Rechtslage, hier also entsprechend der Teilungserklärung, genutzt wird.
Der Gang durch die Instanzen
Alle drei mit dem Fall befassten Instanzen mussten sich zunächst mit der Frage befassen, welcher Art die Nutzung der Räume durch den Mieter, also den sozialen Träger, sei. Die Teilungserklärung aus dem Jahr 1984 bezeichnete die Räume jeweils als „Laden“. Sie waren also zur gewerblichen Nutzung vorgesehen. Gleich die erste Norm des WEG, § 1 I, legt klar fest, dass an Wohnräumen Wohneigentum, an „nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen“ Teileigentum begründet werden kann. Es war unstreitig, dass es sich bei den betroffenen Räumlichkeiten jedenfalls der Teilungserklärung nach um „Gewerberäume“ handelte. In den früheren Läden wurde jetzt aber sehr regelmäßig übernachtet und häufiger als früher gegessen, getrunken und geduscht. Ist das (schon) Wohnnutzung? Dann läge ein Verstoß gegen die Teilungserklärung vor und den Biedermeiers wäre schon deshalb Recht zu geben.
Der BGH hat zu diesem Thema am 27.10.2017 – nur wenige Wochen vor dem Urteil des LG in dem hier zu besprechenden Fall – ein Maßstäbe setzendes Urteil gesprochen (BGHZ 216, 333 = NJW 2018, 41 = ZWE 2018, 28 (Ls.)). Danach sei eine Nutzung als Heim oder heimähnliche Einrichtung keine Wohnnutzung (ergo grundsätzlich nur in Teileigentumseinheiten möglich). Ein „Heim“ sei dadurch gekennzeichnet, dass es eine für eine Vielzahl von Menschen bestimmte Einrichtung ist, dessen Bestand von den jeweiligen Bewohnern unabhängig ist, und in dem eine heimtypische Organisationsstruktur an die Stelle der Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises tritt.
Die Frage „Wohnen oder Gewerbe“ hatte in den Vorinstanzen noch für einiges Hin und Her und prozessualen Wirbel gesorgt. Das AG hatte eine Nutzung der Gewerberäume zu Wohnzwecken angenommen und den Biedermeiers deshalb Recht gegeben. Das Landgericht hätte eine Nutzung der Teileigentumseinheit zu Wohnzwecken wohl auch als gesetzeswidrig angenommen, sah diese aber nicht als gegeben an. Es ging von einer gewerblichen Nutzung der Räume aus. Allerdings schließe im konkreten Fall die Bezeichnung der Räumlichkeiten in der Teilungserklärung als „Laden“ eine Nutzung
als Obdachlosenunterkunft aus.
Für Teileigentum gilt: Im Zweifel geht alles, außer Wohnen
Nun war der BGH am Zug. Er stellte zunächst, und insoweit dem LG folgend, fest, dass es sich um eine gewerbliche Nutzung der Räume handele. Die Kriterien, die er in seinem Urteil 2017 aufgestellt habe, seien erfüllt: Die Anzahl und die häufige Fluktuation der untergebrachten Personen machten eine heimtypische Organisationsstruktur erforderlich. Selbst wenn einzelne Personen über längere Zeit dort untergebracht seien, fehle es an einer Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises. Beispielsweise gebe es Verhaltensregeln im Hinblick auf Ruhezeiten. Die Unterbringung erfolge regelmäßig in nicht abschließbaren Zweibettzimmern, die von den Angestellten des sozialen Trägers jederzeit betreten werden konnten bei gemeinsamer, regelbasierter Nutzung von Küche und Bad.
Anders als das LG störte sich der BGH aber im Ergebnis nicht an der Bezeichnung der Räume als „Laden“ in der Teilungserklärung. Als mittelbarer Bestandteil der Grundbucheintragung sei diese richterlicher Auslegung zugänglich. Neben der oben bereits besprochenen Einteilung in „Wohnen“ und „Gewerbe“ könne eine Einschränkung (also etwa der Art der gewerblichen Nutzung) der Teilungserklärung nur dann entnommen werden, wenn diese klar und eindeutig sei. Bei Unklarheit sei im Zweifel von keiner Einschränkung auszugehen.
Diese Unklarheit sah der BGH für diesen Fall als gegeben an. Eindeutig sei nur die einleitende Bestimmung der Teilungserklärung, die aber ihrerseits nur – wie das Gesetz – in Wohn- und Teileigentum aufteile. Die Bezeichnung als „Laden“ lege, ebenso wie die Bezeichnungen „Wohnung“ und „Dachraum“ an anderer Stelle, lediglich nahe, dass die tatsächliche Nutzung zum Zeitpunkt der Aufteilung (es wurde ein bestehendes Gebäude aufgeteilt) beschrieben wurde. Die Bezeichnungen sollten also nur die Zuordnung einzelner Gebäudeteile zu Sondereigentumseinheiten beschreiben, so der BGH. Weil damit lediglich die Nutzung zu Gewerbezwecken festgelegt sei, könnten die Räume zwar nicht zum Wohnen, aber zu jeder gewerblichen Nutzung verwendet werden.
Ist im Teileigentum bei unklarer, offener oder fehlender Festlegung in der Teilungserklärung wirklich jede Art von gewerblicher Nutzung zulässig? Herrscht also quasi totale „Gewerbefreiheit“? In der Vergangenheit hatten einzelne Obergerichte das abgelehnt und geurteilt, dass andere Eigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft Einschränkungen mit Blick auf den „Charakter der Anlage und den diesen prägenden örtlichen Verhältnissen“ durchsetzen können. Im Urteil aus dem Jahr 2017 hatte der BGH diese Frage noch offengelassen. Nunmehr spricht er sich ausdrücklich gegen solche Einschränkungen aus. Der Charakter der Anlage und die örtlichen Verhältnisse seien keine hinreichenden Kriterien, die Grenzen einer (noch) zulässigen Nutzung zu bestimmen. Nähme man das Gegenteil an, wäre dies mit einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit behaftet. Sowohl der Charakter der Anlage als auch der der örtlichen Verhältnisse veränderten sich ja im Lauf der Zeit.
Abwehr konkreter Störungen aber möglich
Der BGH billigte den Biedermeiers zu, dass die generelle Zulässigkeit (auch) dieser gewerblichen Nutzung nicht bedeute, dass alle von ihnen vorgebrachten Störungen hingenommen werden müssten. Er verwies auf § 14 Nr. 1 WEG, wonach jeder Wohnungs- und Teileigentümer verpflichtet sei, von den in seinem Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen nur in solcher Weise Gebrauch zu machen, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Das vorgetragene Verhalten einzelner wohnungsloser Personen, die in der Anlage untergebracht seien, könne durchaus dagegen verstoßen. Doch könnten die Biedermeiers deshalb nicht die Nutzung an sich verhindern, sie könnten lediglich einen Anspruch auf Unterlassung gegen einzelne, konkrete Störungen nach § 15 III WEG durchsetzen.
Damit wies der BGH die Klage der Biedermeiers letztinstanzlich ab: im konkreten Fall sei jede gewerbliche Nutzung der Räume im Teileigentum, auch die zur tageweisen Unterbringung von Wohnungslosen, zulässig.
Fazit
Immobilien sind sehr langlebige Wirtschaftsgüter, und Zeiten ändern sich. Was heute noch als sozialer Brennpunkt gilt, ist morgen „In-Viertel“ und übermorgen teures Pflaster – es funktioniert aber auch umgekehrt. Der Fall des BGH zeigt, dass Beschränkungen der Nutzung von Teileigentumseinheiten klar und deutlich in der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung festgehalten werden müssen. Aber ob solche Festlegungen klug wären? Wer weiß schon, ob es in 30 Jahren Einzelhandel so, wie wir ihn heute kennen, überhaupt noch gibt? Von einem „benutzten“ bzw. „lebenden“ Gebäude haben alle Miteigentümer etwas, von Leerstand, vor allem über längere Zeit, kann das nicht behauptet werden.